Kategorien
Berichte

Krieg in Europa

Vor zehn Jahren begann die NATO, Serbiens Lebensgrundlagen zu bombardieren. Nach der Besetzung des Kosovo wurde die nichtalbanische Bevölkerung vertrieben Von Werner Pirker Aus junge Welt vom 24.03.2009  Am 24. März 1999 endete die Periode zwischenstaatlichen Friedens in Europa, die seit 1945 angehalten hatte und von der europäischen Öffentlichkeit im Bewußtsein der Erfahrung von zwei […]

Vor zehn Jahren begann die NATO, Serbiens Lebensgrundlagen zu bombardieren. Nach der Besetzung des Kosovo wurde die nichtalbanische Bevölkerung vertrieben

Von Werner Pirker

Aus junge Welt vom 24.03.2009 

Am 24. März 1999 endete die Periode zwischenstaatlichen Friedens in Europa, die seit 1945 angehalten hatte und von der europäischen Öffentlichkeit im Bewußtsein der Erfahrung von zwei grauenhaften Weltkriegen als Selbstverständlichkeit wahrgenommen wurde. Doch mit einem Mal traten »Nie wieder Krieg!« und »Nie wieder Faschismus!« nicht mehr als Einheit, sondern als Gegensätze auf. Einem aus der lumpenproletarischen Gosse gekommenen deutschen Außenminister war es vorbehalten, Deutschlands dritten binnen eines Jahrhunderts erfolgten Überfall auf Serbien als »antifaschistische Befreiungstat« zu präsentieren und so seine Anarchologik – »legal, illegal, scheißegal« – in imperialistischer Machtvollkommenheit ausleben zu können.

Der NATO-Überfall auf Jugoslawien erfolgte unter dem Vorwand, eine »humanitäre Katastrophe« verhindern zu wollen. Dazu setzte die konzentrierte Militärmacht des Westens alle, auch unerlaubte Kriegsmittel ein. Waren bis zum Kriegsausbruch an die 170000 Kosovo-Bewohner vor den Auseinandersetzungen zwischen den albanischen Terrorbanden und den serbisch-jugoslawischen Sicherheitskräften auf der Flucht, so wuchs die Zahl der Flüchtlinge, die primär vor den NATO-Bomben das Weite suchten, im ersten Kriegsmonat auf 600000 und danach auf bis zu 800000 an. Die Bomben wurden dem multiethnischen Charakter der Bundesrepublik Jugosla¬wien vollauf gerecht – sie töteten ohne Rücksicht auf die nationale Herkunft.

Die NATO hatte sich selbst dazu ermächtigt, einen Nationalitätenkonflikt zu »schlichten«, von denen es auf der Welt mehr gibt als Nationalitäten. Und das in einem Land, in dem die nationale Frage auf einem so hohen Niveau wie sonst nirgendwo auf der Welt verhandelt wurde. Nach den Bestimmungen der jugoslawischen Verfassung von 1974 war das Kosovo ein autonomes Gebiet innerhalb der Republik Serbien, dem alle Privilegien einer eigenständigen Republik zukamen. Somit war die Provinz de facto ein Subjekt der jugoslawischen Föderation und nicht der Republik Serbien. Dieser verfassungsrechtlich unhaltbare Zustand wurde mit der Konstitu¬tionsänderung von 1989, das heißt der vollen Reintegration der Provinzen Kosovo und Vojvodina in die Republik Serbien, aufgehoben, ohne dabei die nationalen Rechte der Kosovo-Albaner und der Völkerschaften der Vojvodina zu verletzen.

In der Folge nutzte die Führung der Kosovo-Albaner den Zerfallsprozeß Jugoslawiens zur Durchsetzung ihrer Sezessionsabsichten. Der von der serbischen Führung Anfang 1999 vorgelegte Plan zur Selbstverwaltung des Kosovo, der dem Gebiet Autonomierechte einräumte, wie sie noch keiner Provinzbevölkerung in Europa zugestanden wurden, fand auf der albanischen Seite keine Beachtung mehr. Ihr ging es um die ethnische Definition der Provinz, nicht um die Ausübung von Selbstbestimmungsrechten.

Der Bombenterror der westlichen Wertegemeinschaft zielte nicht auf die militärische Vernichtung des Gegners, sondern auf die Zerstörung der Lebensgrundlagen der Bevölkerung. Bevorzugtes Ziel waren Schulen, Krankenhäuser, Geburtskliniken, Wohnhäuser, Fabriken, Wasser- und Elektrizitätswerke. Um dieser humanitären Katastrophe Einhalt zu gebieten, entschloß sich die jugoslawische Führung im Juni 1999, dem Frieden von Kumanovo zuzustimmen, der, obwohl formal an der territorialen Integrität Jugoslawiens festhaltend, den Verzicht Belgrads auf die militärische Kontrolle über die Provinz beinhaltete. Die ethnischen Vertreibungen, die zu stoppen als Kriegsgrund vorgegeben worden war, gingen mit der Unterstellung des Amselfeldes unter die UN-Protektoratsverwaltung erst richtig los. Da sich der ethnische Sauberkeitswahn nicht gegen Albaner, sondern gegen die nichtalbanische Bevölkerung des Gebiets richtete, fand er kaum mediale Beachtung. Die UN-Verwaltung handelte gegen den UN-Sicherheitsratsbeschluß 1442, als sie die Lostrennung des Kosovos von Serbien in der Praxis vollzog. Die im vergangenen Jahr erklärte Unabhängigkeit schuf einen Präzedenzfall, der im Kaukasus eine von den Gestaltern der neuen Weltordnung ungewollte Vorbildwirkung entfaltete.

Im Oktober 2000 verlor Slobodan Milosevic die Präsidentenwahl gegen eine vom Westen aufgestellte Koali¬tion aus serbischen Nationalisten und prowestlichen Kräften. Die Nationalisten sind von den Westlern mittlerweile ausgebootet worden. Milosevic ist 2001 von den Kräften des nationalen Verrats, die inzwischen mit Vertretern der von ihm gegründeten Partei SPS eine »proeuropäische« Koalition bilden, nach Den Haag ausgeliefert worden. Dort focht er einen einsamen Kampf gegen die Übermacht einer Justiz, die ihn physisch vernichtete, weil sie kein anderes Mittel fand, ihn zu besiegen. Zehn Jahre nach dem NATO-Überfall darf sich Belgrad auf die EU-Mitgliedschaft vorbereiten. Doch noch bevor Serbien in der EU ist, ist die EU bereits in Serbien – als Besatzungsmacht im Kosovo.

URL:  http://www.jungewelt.de/2009/03-24/011.php

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert